„Tirol ohne Tourismus ist unvorstellbar“

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SAISON: Herr Landeshauptmann, eine kompakte Wintersaison bis Ostern, ausreichend Schnee und Rekordzahlen – ist der Tiroler Tourismus im Dauerhoch? Günther Platter: Oberflächlich betrachtet könnte man diesen Eindruck gewinnen. Tatsächlich hat sich Tirol als führende Urlaubsregion der Alpen behauptet und Anziehungskraft entfaltet, und der Tourismus hat sich als stabiler Wirtschaftsmotor auch in wirtschaftlich unruhigen Zeiten bewährt. Engagement und Ausdauer aller im Tourismus Tätigen sind die Basis für den herausragenden Wert, den die Branche für unser Land zweifellos entwickelt hat. Es geht allerdings nicht um Ankunfts- und Nächtigungsrekorde. Das sind die falschen Parameter, auf die wir uns nicht konzentrieren dürfen. Unser Fokus muss auf Wertschöpfung und Qualität liegen. Nur mit der entsprechenden Wertschöpfung können Investitionen in Infrastruktur und Personal getätigt werden.
Muss für Tirol das Mantra der Qualität stärker greifen? Unser Land hat eine führende Position und gilt als Wintersportland Nummer eins der Alpen. Unser Fokus muss sich allerdings noch stärker auf den qualitativ hochwertigen Ganzjahrestourismus richten. Es gilt einerseits, unseren intakten Lebensraum zu bewahren und regional einzigartige Produkte im Zusammenspiel zwischen Tourismus und Landwirtschaft reifen zu lassen. Andererseits müssen wir mutig weiter investieren und dürfen keinesfalls stehen bleiben. Der Tiroler Tourismus bietet heute zweifellos Top-Qualität, Dienstleistung und Angebot sind auf sehr hohem Niveau. Aber die Wertschöpfung ist nicht in allen Bereichen weltmeisterlich. Das gilt es im Auge zu behalten, denn sonst ist nachhaltig sinnvolles Wachstum nicht möglich. Dafür braucht es ordentliche Rahmenbedingungen.
„Unser Fokus muss auf Wertschöpfung und Qualität liegen.“
Überbordende Vorschriften, Steuerbelastungen, Arbeitszeitregulierungen – genau diese Rahmenbedingungen wurden seitens der Touristiker heftig kritisiert. Und genau deshalb haben wir uns gleichermaßen intensiv wie erfolgreich um eine Verbesserung bemüht, um die Attraktivität der Branche zu steigern. Angesichts vieler nicht nachvollziehbarer Vorschriften und Gesetze war der Frust zu Recht groß. In diesem Sinn hat sich der große Einsatz der Landesregierung beim Bund ausgezahlt – etwa in der Frage der Arbeitszeitflexibilisierung. Aber auch bei der Senkung der Steuerbelastung hat sich die Arbeit gelohnt. Die Reduktion der Mehrwertsteuer von 13 auf 10 Prozent wird mit kommendem November und damit zum Start der Wintersaison 2018/2019 umgesetzt.
Reicht das, um die Betriebsübergaben an die junge Generation gerade auch in den kleinteilig organisierten Familienunternehmen im Tiroler Tourismus einfacher zu gestalten? Die gemeinsame Aufgabe muss sein, die Jungen zu motivieren weiterzuarbeiten. Die Familienbetriebe bilden das Rückgrat unseres Tourismus. Davon lebt Tirol. Die Vorgängergeneration hat mit 13 bis 15 Prozent Zinsbelastung etwas schaffen können und hatte weiterhin Geld für Investitionen. Momentan haben wir zwar sehr günstige Konditionen, aber es bleibt am Ende fast nichts übrig. Deshalb werden wir hart weiterarbeiten, um die Rahmenbedingungen für erfolgreiches Wirtschaften für unsere Familienunternehmen weiter zu optimieren.
Jeder
dritte Euro
wird in Tirol direkt oder indirekt in der Tourismus- und Freizeitwirtschaft verdient.
MCI Tourismus, Broschüre „Tourismus in Tirol“ (WK Tirol)
Welche Ziele verfolgen Sie dabei? Um unsere starke Wettbewerbsposition zu sichern, wurden in der Tourismusstrategie „Der Tiroler Weg 2021“ drei große Linien als Handlungsfelder definiert: 1. die Qualität der Region, die gleichzeitig Lebens- und Erholungsraum darstellt, ganzheitlich zu fördern, 2. die kleinteilige, familiengeprägte und generationenübergreifende Unternehmerstruktur im Tiroler Tourismus zukunftsfähig zu erhalten und schließlich 3. die anerkannte Kompetenzführerschaft Tirols im alpinen Kontext nachhaltig zu sichern. Unser Bekenntnis ist eindeutig: Kein von auswärtigen Investoren gelenktes Massengeschäft, sondern eine von den einheimischen Familien weiterhin selbstbestimmte erfolgreiche Tourismuswirtschaft mit größtmöglicher regionaler Wertschöpfung. Nur damit sind langfristig Investitionen seitens der Unternehmer in den Destinationen und der Hotellerie gesichert.
Sind Investitionen nicht aber gerade auch im Bereich der Mitarbeiter – Stichwort Facharbeitermangel – dringend notwendig? Die Investition in die Mitarbeiter ist ein Gebot der Stunde, und es ist eine gemeinsame Anstrengung notwendig, um den Fachkräftemangel zu beheben. Ich sehe hier Aufgaben des Landes, in die Bewusstseinsbildung zu investieren. Andererseits gilt es für die Branche, Tourismusberufe so attraktiv zu gestalten, dass die Menschen dann auch langfristig in touristischen Berufen in der Region bleiben.

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Rund 70 Prozent der sogenannten Vorlieferungen und Vorleistungen, die Tirols Touristiker benötigen (Handwerk, Baugewerbe, Landwirtschaft etc.), kommen aus dem Land selbst, 18 Prozent stammen aus den anderen Bundesländern, 13,2 Prozent aus dem Ausland.
Quelle: Statistik Austria, Broschüre „Tourismus in Tirol“ (WK Tirol)
„Die Familienbetriebe bilden das Rückgrat unseres Tourismus. Davon lebt Tirol.“
Wie wichtig ist für eine erfolgreiche Weiterentwicklung eine positive Tourismusgesinnung im Land? Eine positive Einstellung der Bevölkerung ist von zentraler Bedeutung. Es mag sein, dass sich hier unterschiedliche Perspektiven entwickelt haben, zwischen Stadt und wirtschaftlich sehr erfolgreichen Destinationen in den Tälern. Ein intensiverer Dialog ist in diesem Zusammenhang sehr wichtig. Denn Tirol ohne funktionierenden Tourismus, der von einem gemeinsamen Verständnis getragen ist, ist unvorstellbar. Unser Land war und ist für die heimische Bevölkerung und Gäste immer beides: wertvoller und unverzichtbarer Lebens- und Erholungsraum. Wer nach Tirol reist, findet keine künstliche Urlaubskulisse, sondern eine spezielle vom alpinen Alltag geprägte Lebenskultur. Gerade heute wissen die Gäste diese Form der unverfälschten Normalität zu schätzen. Das ist ein Wert, der sich künftig weiter potenzieren wird.
Ist dieser Wert den Tirolern bewusst? Der Tiroler Weg unserer Tourismuswirtschaft ist in Summe ein nachhaltiges Integrationsmodell, von dem die hier lebenden Menschen profitieren: hohe Lebensqualität in einer wirtschaftlich gesunden Region, die Sicherung von einem Viertel aller Arbeitsplätze, eine perfekte Sport- und Freizeitinfrastruktur direkt vor der Haustür. Diese Werte und den Nutzen für die Tirolerinnen und Tiroler gilt es künftig wieder stärker erlebbar zu machen.
Wie sehen Sie generell die Konjunktur für das Tourismusland Tirol in Zukunft? Tatsächlich hat Tirol beste Aussichten sich noch erfolgreicher zu positionieren. Experten sind sich einig, dass der Alpenraum über wertvolle und immer wichtiger werdende Ressourcen verfügt: Schätze, die als Gegenwelt zur globalisierten Beschleunigungsgesellschaft, als Kraftplatz zum Energietanken an Bedeutung gewinnen. Das sind Werte, die auch für den Tiroler Tourismus neue Wertschöpfung bedeuten können. „Tirol tut gut“ – diese Botschaft kann das Land mit einer intelligenten, branchenübergreifenden Verknüpfung bestehender Kompetenzen in innovative touristische Ganzjahresangebote übersetzen. Und damit auch seine Vorreiterrolle im alpinen Tourismus weiter ausbauen. Tirol hat hier beste Voraussetzungen, seine touristische Strategie nachhaltig und zukunftsfähig auszurichten, muss dafür aber angesichts vieler Herausforderungen und hohem Wettbewerbsdruck sehr dynamisch bleiben.
Vielen Dank für das Gespräch.

„Die Investition in die Mitarbeiter ist ein Gebot der Stunde, und es ist eine gemeinsame Anstrengung notwendig, um den Fachkräftemangel zu beheben.“
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