Sommer ohne Stillstand

© WOLFGANG EHN
(K)eine Hexerei
In Söll bringt die Gondelbahn seit ihrer Eröffnung 1988 Gäste auf den Berg – „ursprünglich nur mit reduzierten Betriebszeiten“, erzählt Bergbahnen-Söll-Geschäftsführer Mario Gruber. Denn um ihr wirkliches Potenzial zu entfalten, braucht die alpine Infrastruktur auch im Sommer Anziehungspunkte, die ursprünglich gefehlt haben. „Das hat mein Vorgänger, Walter Eisenmann, hervorragend erkannt.“ Den Anstoß dazu lieferte eine aus heutiger Sicht eher unscheinbare Attraktion: ein Kneippbecken vor einem Gasthaus in Hochsöll. „Das hat bemerkenswert viel Publikum angezogen. Dort sind 40, 50 Gäste Schlange gestanden.“
Pionierarbeit
Die Erkenntnis, dass es auch in den Sommermonaten offensichtlich Potenzial für Wachstum gab, verschaffte den Betreiber:innen der Gondelbahn anderen gegenüber einen Vorsprung, den sie mit dem Ausbau des Hexenwassers 2002 auch zu nutzen wussten. „Wir waren eine von nur sieben Sommerbahnen in ganz Österreich“, meint Gruber. „Heute sind es mehr als 70. Damals herrschte noch das Dogma vor, dass man das Geld alleine im Winter macht.“ Doch das Umdenken kam schnell. Innerhalb von fünf Jahren realisierten immer mehr Destinationen, dass auch Sommergäste etwas geboten bekommen wollten – und auch einiges an Umsatz zu bieten hatten.
Einen Schritt voraus
Dem trägt das Hexenwasser seither mit regelmäßigen
Adaptionen des Angebots Rechnung. 2010 und 2019 wurden
zwei historische Bauernhöfe abgetragen und auf das
Freizeitgelände verlegt, wo sie als Schauhöfe besucht
werden können. Und auch beim Neubau der Zubringerbahn
2020 wurde bei Weitem nicht mehr nur an die Wintergäste
gedacht: In jeder der
72 Kabinen gibt es auf der Fahrt eine eigene Geschichte
rund um Söll zu hören – auf Band gesprochen von
gebürtigen Söller:innen im Alter zwischen sechs und 90
Jahren. So sollen dieses und viele weitere Konzepte das
Hexenwasser ganzjährig attraktiv machen.
Dynamisch
„Wie überall im Tourismus kann man auch – oder gerade – im Sommer nicht etwas hinstellen, und das funktioniert dann einfach“, ist der Geschäftsführer überzeugt. Allerdings biete der Sommer deutlich mehr kreativen Freiraum, während im Winter alle nach dem Gleichen streben. „Im Sommer können wir uns inszenieren und Alleinstellungsmerkmale entwickeln“, sagt Gruber. Dementsprechend wartet das Hexenwasser jedes Jahr mit einem völlig neuen Thema und einem neuen Konzept auf. „Damit bieten wir auch Stammgästen immer etwas Neues und unseren Mitarbeitenden die Möglichkeit, spannende, neue Konzepte zu entwickeln.“
Zur Person:
Mario Gruber
war bereits 15 Jahre lang für die Bergbahnen Söll tätig,
bevor er 2020 die Nachfolge des langjährigen
Geschäftsführers Walter Eisenmann antrat.

© Bergbahnen Söll
Perfekt platziert
Die Nordkettenbahn steuert dieses Jahr auf ihr erfolgreichstes Geschäftsjahr seit dem Neubau der Anlage vor 17 Jahren zu – „und das, obwohl wir 2023 bislang nur 14 Skitage hatten“, sagt Geschäftsführer Thomas Schroll. Dass dieser kurze Winterbetrieb, der für die meisten anderen Seilbahnen Tirols ein Desaster gewesen wäre, das Jahresergebnis kaum schmälern konnte, hat einen guten Grund: Die Nordkettenbahn erfüllt eine Nischenfunktion, die in Tirol mehr oder weniger einmalig ist. Anstatt einer reinen (Winter-)Sportattraktion ist sie das Bindeglied zwischen dem urbanen Innsbruck und der alpinen Natur, die die Stadt umgibt. Damit ist sie genauso Teil des bergsport- wie des traditionell sommerfokussierten städtetouristischen Angebots, das Innsbruck-Gäste erwartet.
Zwischen Stadt und Berg
Diese multifunktionale Rolle macht die Nordkettenbahn nicht nur zu einer der – wenn nicht sogar der – meistfrequentierten Attraktionen der Stadt. „Der Ganzjahresbetrieb wird dadurch für uns auch nicht nur zu einer attraktiven Option“, meint Schroll, „sondern eigentlich nahezu alternativlos.“ Das untermauern auch die Nutzerzahlen: 65 Prozent des Passagieraufkommens der beiden Pendelbahnen entfällt auf die Sommermonate. Deswegen läuft der Betrieb dann auch eine Stunde länger. „Das hilft bei der Entzerrung“, meint Schroll, „und kommt damit der Qualität unseres Angebots entgegen.“ Im Winter werden dagegen „nur“ 35 Prozent der Gesamtjahresfahrten verbucht – ein Unikum für Tirol.
Glück und Können
Dass das nur dank der glücklichen Lage der Nordkettenbahn möglich ist, weist Schroll nicht von der Hand. „Die Location ist für unsere spezielle Situation natürlich das Um und Auf“, meint er. „Wir sind von einzigartigen Attraktionen umgeben. In 30 Minuten von der Innenstadt auf den Berg mit Blick in das Karwendel: Das ist etwas, das man nicht erfinden kann.“ Doch in dem Erfolg steckt auch einiges an Arbeit. Dazu zählt der angepasste Fahrplan im Sommer ebenso wie zum Beispiel auch der besonders kurze Revisionszeitraum. Wo anderen Seilbahnen zweimal eine ganze Zwischensaison zur Verfügung steht, werden alle an der Nordkettenbahn nötigen technischen Überprüfungen und Reparaturen an gerade einmal 17 bis 22 Tagen pro Jahr vorgenommen. „Das ist alles Teil unserer Positionierung“, meint Schroll. Und die müsse im touristischen Bereich immer klar definiert sein – egal ob bei einer ‚städtetouristischen Ganzjahresbahn‘, einer Aufstiegshilfe für Familiengäste oder etwas gänzlich anderem. „Man kann nur bis zu einem gewissen Grad bei anderen ‚abschauen‘. Schlussendlich muss sich jeder auf seine Sache und auf seine Stärken besinnen und daraus das Optimum machen.“
Zur Person:
Thomas Schroll
wechselte 2006 von der Schlick 2000 zur Nordkettenbahn,
der er seither als Geschäftsführer vorsteht. Zudem ist
er Vorsitzender des Freizeitticket Tirol seit dessen
Einführung 2008.

© Günther Egger
Vorteile für alle
Auch Serfaus, Fiss und Ladis haben sich früh auf ein Gästesegment anstatt auf eine Saison konzentriert – eine Entscheidung, die sich rechnet. „Sommerbetrieb hat es bei uns schon 2001 gegeben“, erinnert sich Christian Zangerl, Manager des Bikepark Serfaus-Fiss-Ladis, an seine Anfänge in der Region. „Damals war die Seilbahn über Mittag geschlossen und wir waren auf ein komplett anderes Publikum konzentriert.“ Doch schon vor mehr als zwei Jahrzehnten trat der Gedanke, den Sommer zu aktivieren, immer weiter in den Vordergrund. Ein passendes Zielpublikum war mit Familiengästen schnell gefunden, „und seither hat das Sommergeschäft stetig angezogen“, sagt Zangerl. „Aktuell haben wir ein Drittel unserer Gäste im Sommer und zwei Drittel im Winter.“
Zeitenwandel
Der Ganzjahresbetrieb hat der Region definitiv geholfen, ist Zangerl überzeugt. Insbesondere die Ergänzung des winterlichen Ski- um ein breit gefächertes Bikeangebot im Sommer hat ihre Position als Familiendestination zementiert. Aber das ist nicht der einzige Vorteil. Wie in allen Branchen müssen Investments auch im Tourismus refinanziert werden. „Dafür wird der Winterbetrieb angesichts des Klimawandels nicht ewig reichen, wenn er das überhaupt noch tut“, meint er. „Manche Expert:innen schätzen, dass wir künftig jedes Jahr einen Wintertag verlieren und einen Sommertag gewinnen werden.“ Damit werde das Sommerangebot für nahezu alle Regionen bald essenziell sein.
Immer in Bewegung
Dazu kommt, dass eine stillstehende Seilbahn nicht nur kein Geld macht. Sie rostet auch – ähnlich wie ein Auto, meint Zangerl. Damit kommt der laufende Betrieb auch der Anlage entgegen. Jeweils im Mai und November schließt die Bahn allerdings für jeweils rund einen Monat für Revisionen: „Den Luxus, Parallelbahnen, wie in Gletscherskigebieten zu betreiben, haben wir nicht“, meint Zangerl. „Aber wir wissen die Pausen jedes Jahr gut zu nutzen.“ Denn auch, wenn die Bahn nicht fährt, gibt es viel zu tun: Saisonvorbereitungen stehen ebenso auf dem Programm wie Wartungsarbeiten, insbesondere, wenn es um die Fahrräder geht, auf die Serfaus-Fiss-Ladis im Sommer unter anderem das Sommerangebot fokussiert.
Ganzjahresarbeitgeber
Das bringt auch Vorteile für die Belegschaft: Anstelle von Saisonarbeit können ihr größtenteils Ganzjahresverträge geboten werden. Das wissen die meisten mehr als zu schätzen. Und auch die Region profitiert: „Die Mitarbeiter:innen sind diejenigen, die alles am Laufen halten“, bestätigt Zangerl. Verlassen sie nach der Saison die Region, geht mit ihnen nicht nur Arbeitskraft, sondern auch Know-how verloren. „Gute Leute will man behalten. Die sind schließlich unser Qualitätsgarant. Und mit dem Ganzjahresbetrieb können wir das auch bieten.“
Zur Person:
Christian Zangerl
ist seit 2001 in Serfaus-Fiss-Ladis tätig und leitet
seit 2016 den dortigen Bikepark. Zudem berät er als
Gründer und Geschäftsführer von Mach2 Consulting
Regionen und Unternehmen bei der Entwicklung und
Umsetzung von Bike-konzepten.

© Serfaus-Fiss-Ladis Marketing GmbH/christian waldegger
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